Dr. Christian Fill begleitet und prägt seit zwei Dekaden die deutsche Content-Marketing-Szene. Bei KammannRossi zieht er seit Ende 2020 die operativen Fäden. Dort setzt er sich ein für seine Leidenschaft: (gutes) Schreiben, speziell im B2B-Bereich. Für uns ist Dr. Fill damit nicht nur der Mann für einen geschulten Blick auf die Lage der Branche allgemein (im Zeichen der Corona-Pandemie). Auch zu den Schlagwörtern Storytelling, Native Advertising und Advertorials liefert er interessante Antworten.
Airmotion Media: Hallo Christian, wir wünschen einen erfolgreichen und gesunden Jahresstart. Hat Corona der Content-Marketing-Branche mehr genützt oder geschadet?
Dr. Christian Fill: Eine Sowohl-als-auch-Antwort ist unbefriedigend – und doch, es hängt davon ab, wie die jeweilige Agentur aufgestellt ist. Es hängt von der Kundenstruktur genauso ab wie vom Portfolio. Branchen oder Unternehmen, die von der Pandemie schwer gebeutelt wurden, haben auch Agenturen von Sparmaßnahmen nicht ausnehmen können. All jene, die Content Marketing so einsetzen, dass sich mit den Inhalten nachweislich mehr Umsatz triggern lässt, haben ihre Agenturen an den Erfolgen teilhaben lassen – mit mehr Aufträgen.
„Ohne den Digitalisierungs-Druck, den die Pandemie auslöste,
würden viele Content-Marketing-Ansätze immer noch in der Schublade liegen.“
würden viele Content-Marketing-Ansätze immer noch in der Schublade liegen.“
Welche drei Learnings ziehst Du für das Thema Content-Marketing aus der Pandemie-Zeit?
Erstens: Egal was du machst, „Führen aus der Distanz“ erfordert eine noch größere Nähe zu den Mitarbeitern. Inhalte müssen daher klarer, präziser, eindeutiger sein. Zweitens: Content Marketing ist krisensicherer als andere Disziplinen in der Marketingkommunikation. Geschenkt bekommt man aber auch hier nichts. Drittens, so bitter es klingt: Ohne den Digitalisierungs-Druck, den die Pandemie auslöste, würden viele digitale Content-Marketing-Ansätze immer noch in der Schublade liegen. Gleichzeitig stieg die Wertschätzung für Print – als wäre es ein Symbol fürs das Leben jenseits des Bildschirms.
Deine Agentur konnte im Jahr 2020 sogar die Branchenposition ausbauen. Was ist das Erfolgsrezept?
Danke für die Blumen – der Ausbau setzte sich 2021 fort. Rückblickend sage ich gerne, das war ein weitsichtiger Plan. Aber es gehört auch Glück dazu und ein geschärftes Agenturprofil. Wir konzentrierten uns in früheren Jahren auf Corporate Publishing, Interne Kommunikation und Reporting. Reporting blieb stabil, zu Corporate Publishing kamen ein paar schöne Content-Marketing-Aufträge dazu und IK wuchs in den beiden Corona-Jahren massiv, weil intern zu kommunizieren die einzige Möglichkeit war, um die Mitarbeiter an den Remote-Arbeitsplätzen zu erreichen.
„Jahrelang habe ich geglaubt, der Begriff Corporate Publishing wäre tot.“
Warum und wie binde ich Kunden mit Corporate Publishing?
Jahrelang habe ich geglaubt, der Begriff Corporate Publishing wäre tot – doch einige Unternehmenskommunikatoren haben mich eines Besseren belehrt. Diese feine Unterscheidung findet man nur im deutschsprachigen Raum. Im Zusammenhang mit „Kunden binden“ ziehe ich die Bezeichnung Content Marketing vor.
Und was bringt ein Content Hub?
Was einen Content Hub angeht, so ist dieser das Zentrum aller Inhalte, die im Rahmen einer Content-Marketing-Maßnahme zusammenkommen. Beim Content Campaigning kann der Hub eine eigene Themenwebsite sein, auch außerhalb des Unternehmensuniversums. Wenn es um die unternehmensweite Umsetzung einer Content-Strategie geht, mit Themenarchitektur und allem was noch dazugehört, dann laufen dort tatsächlich alle inhaltlichen Fäden zusammen.
„Storytelling macht richtig Arbeit.“
Was ist der Unterschied zwischen gutem und schlechtem Storytelling?
Das scheint einfach: das Verständnis. Storytelling ist leider zu einem abgenutzten Modewort der Marketingbranche geworden. Ich habe zu oft in Briefings dieses Wort gelesen und wusste, dass der Absender es reingeschrieben hat, ohne genau zu wissen, was es eigentlich bedeutet. Natürlich ist es reizvoll, Storytelling zu beherrschen – jeder wäre gerne ein guter Geschichtenerzähler, weil Geschichten fesseln. Storytelling ist eine Kunst für sich: Die Dramaturgie, die Heldenreise, der Best Buddy, das alles stellt selbst die bestausgebildeten Marketeers vor neue Herausforderungen. Und Storytelling ist Handwerk – man muss es lernen, man muss in Geschichten denken und nicht nur darüber sprechen. Und das macht richtig Arbeit.
Native Werbeformate wie Advertorials boomen. Eine gute oder schlechte Entwicklung?
Statista hatte vor geraumer Zeit allein für Deutschland in 2020 Investitionen von rund vier Milliarden US-Dollar für Native Advertising prognostiziert – eine traumhafte Summe, ich hoffe für die Agenturen, sie wurde trotz Corona erreicht. Der wirtschaftliche Erfolg und die Wirkung von nativen Werbeformaten lässt sich nicht bestreiten: Ich habe gelesen, dass Native Ads 25 Prozent mehr Kaufimpulse auslösen als Display-Anzeigen. Was mich allerdings sehr nachdenklich stimmt: Viele jüngere Leser können oder wollen heute nicht mehr einen unternehmensgetriebenen Beitrag von einem neutralen Beitrag des Mediums, der in journalistischer Sorgfaltspflicht erstellt wurde, unterscheiden. Trotz eindeutiger Kennzeichnung des nativen Formats. Was wiederum für den konventionellen Journalismus wie für den Marketing-Journalismus eine große Aufgabe werden wird…
„Oft genug ärgere ich mich darüber, wie schlecht das Advertorial-Handwerk ist.“
Wie können Advertorials die richtige, positive „Stimmung“ zwischen Werbendem und Zielgruppe herstellen?
Interessante Frage. Ich lese Advertorials mit einer Mischung aus persönlichem und beruflichem Interesse. Und oft genug ärgere ich mich darüber, wie schlecht das Handwerk ist – langweilige Texte, irgendwo im Weißraum, auch im Digitalen, verloren, in einer Schrift gesetzt, die zwar der CI entspricht, aber das Auge innerhalb von Minutenbruchteilen ermüdet… Das gilt übrigens auch alles für Content-Marketing-Medien. Und es ist ein Appell sowohl an die Kunden als auch an uns Agenturen. Mehr Mut zum guten Handwerk! Dann klappt es auch mit der Haltung und der Stimmung. Wenn die Basis schon nicht stimmt, wie soll dann das Advertorial Stimmung vermitteln und Nutzwert an den Leser bringen?
Ein abschließender Ausblick: Auf welche Entwicklungen im Bereich Content Marketing müssen sich Marktpartner in näherer Zukunft einstellen? Woran sollten sie arbeiten?
Jahrelang war Content Marketing so etwas wie der Heilige Gral. Zuerst nur von einigen wenigen gejagt, dann von immer mehr, und heute von ganz vielen – die auch noch behaupten, ihn gefunden zu haben. Etwas weniger bildhaft: Content Marketing läuft als erfolgreiche Disziplin Gefahr zu verwässern. Es muss uns Agenturen gelingen, die unterschiedlichen Einflüsse der verschiedenen Disziplinen zu bündeln und in die Ausbildung zu tragen. Wir müssen gegen eine schleichende Beliebigkeit ankämpfen.
Wir bedanken uns vielmals für das Interview!
Zur Person:
Dr. Christian Fill ist seit Dezember 2020 Geschäftsführer der Kölner Agentur Kammann Rossi GmbH mit Fokus auf Corporate Publishing und Content Marketing. Zuvor war der gebürtige Bayer und (zum Missfallen seiner Kölner Kollegen) bekennende FC-Bayern-Fan geschäftsführender Gesellschafter bei der Darmstädter Profilwerkstatt. Als Chefredakteur sowie CEO lenkte er C3 in München. Über zehn Jahre war der promovierte Ingenieur stellvertretender Vorsitzender des Content Marketing Forum (CMF). 2021 wurde er zum Vorsitzenden der Fokusgruppe Content Marketing des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) gewählt.
© alle Fotos: Kamann Rossi GmbH
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